FiSch – Familie in Schule©
Multifamiliencoaching in der Schule
Die Verhaltensprobleme von Kindern nehmen zu – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Das wirkt sich zunehmend auf den Schulalltag aus: Schulen stehen seit Jahren vor neuen Herausforderungen. Als Reaktion wurden unterschiedliche Unterstützungsangebote entwickelt – wie zeitlich begrenzte Kleingruppenbeschulung, Inselprojekte usw. Auch die Zahl der Schulbegleiterinnen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Unterrichtszeiten werden häufig verkürzt – um Schüler*innen nicht zu überfordern, aber auch, um Lehrkräfte und Klassen zu entlasten.
Diese Situation belastet die betroffenen Familien zusätzlich: Arbeitszeiten müssen angepasst oder die Erwerbstätigkeit eines Elternteils vorübergehend aufgegeben werden. Besonders schwierig ist die Situation für alleinerziehende Elternteile. Konflikte zwischen Eltern und Kindern eskalieren häufig. Viele Familien fühlen sich ausgegrenzt und stigmatisiert – und ziehen sich zurück. Die Distanz zwischen Elternhaus und Schule wächst. Eltern vermeiden den Kontakt zur Schule, oft aus Angst vor weiteren Anforderungen, die sie überfordern könnten.
Vor diesem Hintergrund wurde 2005 das schulbezogene, multifamilientherapeutisch inspirierte Konzept „FiSch – Familie in Schule©“ entwickelt. Angeregt u. a. durch Modelle aus Dänemark, wurde es in Deutschland früh implementiert. Heute existieren zwei etablierte Modelle schulischer Multifamilienarbeit: die „Familienklasse“ (Dawson, McHugh, Asen, 2020) und „FiSch – Familie in Schule“ (Behme-Matthiessen, Pletsch, 2012). Beide Konzepte basieren auf den Grundlagen der Multifamilientherapie nach Eia Asen und Michael Scholz.
FiSch wird sowohl präventiv als auch therapeutisch-rehabilitativ eingesetzt. Der Ansatz entstand ursprünglich im Setting der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig. Dort wurde er als Teil eines multimodalen Behandlungskonzepts für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen entwickelt – mit Blick auf deren schulische Auswirkungen. Später wurde FiSch auf den schulischen Alltag in Regelschulen und Förderzentren angepasst – und ist heute in vielen Bundesländern fest etabliert.
Wichtig: Nur Einrichtungen, die die curriculare Fortbildung „FiSch – Familie in Schule / Multifamiliencoaching in der Schule“ absolviert haben, dürfen ihre Maßnahme „FiSch“ nennen. Viele Kolleginnen nehmen lediglich am Basisseminar teil, um die Haltung und Struktur des Konzepts kennenzulernen und Eltern besser informieren zu können. Diese Personen wenden FiSch nicht selbst an, unterstützen jedoch als Multiplikatorinnen die FiSch-Teams an ihren Schulen.
Seit 2020 gelten in Schleswig-Holstein verbindliche Qualitätsstandards für FiSch-Standorte, die eine Zertifizierung anstreben. Die gemeinsame Fortbildung der beteiligten Kolleg*innen hat sich dabei als besonders hilfreich erwiesen: Sie ermöglicht eine reflektierte, gegenseitige Prozessbegleitung im Team.
FiSch ist eine unterrichtsbezogene Maßnahme – keine Therapie. Auch Eltern wünschen keine „Therapie durch die Hintertür“. Es handelt sich also nicht um Multifamilientherapie, sondern um Multifamiliencoaching. Das bedeutet: Am Vormittag findet Unterricht statt. Elemente aus der Multifamilientherapie – wie Praxisaktionen – werden auf Schule angepasst und reduziert eingesetzt. Im Zentrum steht der Unterricht und die sich darin entwickelnde Dynamik.
Die während des Unterrichts entwickelten Ideen der Familien – im Umgang mit belastenden oder herausfordernden Situationen – werden auf Alltagstauglichkeit geprüft. In der Elterngruppe werden gemeinsam Möglichkeiten besprochen, wie diese Strategien im Familienalltag oder in der Heimatschule weitergeführt werden können.
Team

Ulrike Behme-Matthiessen
Dipl. Psychologin, Psychol. Psychotherapeutin,
Syst. Familientherapeutin, Multifamilientherapeutin (DGSF),
Lehrende für Multifamilientherapie (DGSF)
Ehemalige Leiterin der Tagesklinik Baumhaus am HELIOS Klinikum Schleswig, Fachklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie
Institut für Weiterbildung und Entwicklung (IWES)

Andree Nykamp
Sonderschullehrer
Schulleiter der Hesterberg-Schule in Schleswig
Landesförderzentrum für Pädagogik bei Krankheit

Thomas Pletsch
Arbeitspädagoge, Transaktionsanalytiker, Psychotherapie (HeilprG),
Lehrender für Multifamilientherapie (BAG-MFT), Trainer Neue Autorität, Multiplikator Menschenwürde und Scham nach Stephan Marks.
Abteilung Kreative Therapien am HELIOS Klinikum Schleswig, Fachklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie
Institut für Weiterbildung und Entwicklung (IWES)

Carina Bründlinger
Erziehungswissenschaftlerin
DGSF-zertifizierte Einzel-, Paar- und Familientherapeutin, systemische Therapeutin (DGSF), Multifamilientherapeutin (DGSF) und Heilpraktikerin für Psychotherapie
Kinder- und Jugendhilfe-Arbeit in Frankfurt a.M. und Berlin
Schwerpunkt multifamilientherapeutisches Arbeiten (FiSch, Kinder aus der Klemme u.a.)
Leiterin des „Berliner Zentrum für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen (PUK)“
Beispiel aus der Praxis: Joel
Joel ist neun Jahre alt und besucht die dritte Klasse einer Grundschule. Seine Mutter, Frau Petersen, führt den Haushalt und betreut das zweijährige Geschwisterkind Lukas. Joels Schwester Marie wird im nächsten Schuljahr eingeschult. Der Vater ist Dachdeckermeister und arbeitet im eigenen Betrieb.

Die Klassenlehrkraft berichtet, dass Joel wiederholt die Klassenregeln missachtet, laut dazwischenruft, andere Kinder provoziert und auf dem Schulhof in Konflikte gerät. Joels Mutter bekommt mittlerweile ein ungutes Gefühl, wenn vormittags das Telefon klingelt. Der Vater erklärt, er könne nicht ständig aus dem Betrieb kommen, um – wie er sagt – „die Probleme zwischen der Lehrerin und Joel“ zu lösen.
Zuhause kommt es zwischen den Eltern zu häufigen Diskussionen. Joel zieht sich mehr und mehr zurück und verbringt viel Zeit allein. Die gesamte Familiensituation ist angespannt.
Die Klassenlehrkraft empfiehlt FiSch.
Joel nimmt nun seit vier Wochen teil. Seine Eltern wechseln sich in der Teilnahme ab. Joels Ziele sind:
– „Ich bin freundlich zu Kindern und Erwachsenen“
– „Ich melde mich, wenn ich etwas sagen möchte“
Beim ersten Ziel hat sich bewährt, kurz vor der Pause mit Joel zu besprechen, mit wem er spielen möchte und wie er seine Wünsche äußern kann. Joels Eltern besprechen mit anderen Eltern, wie sie ihn dabei unterstützen können – damit er diese Strategie auch in seiner Heimatschule und im Familienalltag anwenden kann.